Bildnachweis: Ingeborg Hamisch

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In einem irischen Gedicht mit dem sprechenden Titel „Gastfreundschaft“ wird noch mehr getan, als die Pflicht gebietet:

Gastfreundschaft
Ich traf gestern einen Fremden, setzte ihm Essen vor,
füllte den Becher, spielte Musik für sein Ohr.
Und der Fremde, im Namen Gottes, der der Dreieinige ist,
gab meinem Haus seinen Segen, meinen Lieben und auch meinem Vieh.
Und über dem Dach die Lerche, sie jubelt: Oft und oft und oft
geht in der Bitte des Fremden Christus durch unseren Ort.

Essen und Trank, das kann man einsehen, das sind die ursprünglichen Bedürfnisse des Fremden. Doch dann kommt das Überraschende: „Ich spielte Musik für sein Ohr.“ Hier beginnt die Pflicht zur Lust zu werden, aus der Notwendigkeit wird die gemeinsam geteilte Freude. Ich stelle mir vor, wie der Gastgeber zur Gitarre greift und dem Fremden eine lustige Melodie vorspielt, um ihn aufzuheitern – bald schon aber greift auch der Fremde in seine abgetragene Jacke und bringt eine Blechflöte zum Vorschein, der er die hellsten und silbrigsten Töne entlockt. Die beiden – Gastgeber und Gast – beginnen, Gefallen aneinander und miteinander zu finden, und so spielen sie bis in die Nacht hinein: Eine Melodie jagt die andere, eine Ballade eröffnet den Raum zur nächsten und die durch Gesang und Spiel in Anspruch genommenen Kehlen bleiben fürwahr nicht trocken!

Zugegeben: eine ideale Szene! Die Szenen, die sich gerade in Europa abspielen, sind alles andere als romantisch: Menschen in bitterster Not, traumatisiert von Krieg und Verfolgung, von nackter Überlebensangst und von Terror werden einem unwürdigen Bürokatiespießroutenlauf ausgesetzt. Ihr massenhafter Tod wird billigend in Kauf genommen, weil es europäischen Politikern nicht gelingt, verbindliche Absprachen zu treffen. Völlig verrohte Schlepperbanden verdienen sich eine goldene Nase. Und bisher unbescholtene Bürger zündeln am rechten Rand mit der Beschwörung von Übervölkerung und dem Untergang des christlichen Abendlandes!
Dieses christliche Abendland wird untergehen – wenn wir jetzt nicht handeln. Handeln, nicht aus Angst, sondern aus Nächstenliebe! Handeln mit der Kraft unseres Herzens und der Einsicht unseres Verstandes! Und inspiriert von einem Gott, der sich nicht zu schade ist, als nackter, ungeschützter und verfolgter Mensch auf die Welt zu kommen. Der ein Flüchtling wird, ein Asylbewerber in Ägypten!
Was können wir also tun?
Wir können den Gast genießen. Vielleicht sehen wir Asylbewerber beim Einkaufen im Supermarkt: Wir könnten Ihnen ein Lächeln schenken. Wir könnten uns mal umsehen bei Ihnen im Flüchtlingsheim. Ich weiß, Schwellenangst! Hatte ich auch, aber es war dann total nett und lustig. Wir könnten uns an unserem Wohnort zusammentun mit anderen wohlwollenden Menschen und überlegen, was die neuen Gäste bei uns brauchen und wie wir ihnen helfen können. Wir können beten: Danken für ihre Bewahrung, bitten um ihr gutes Hineinkommen in unsere Gesellschaft, Klagen über die Verlorenen auf dem Weg und v.a eins: Uns selbst zu einem Zeichen des Lichts entwickeln: Ein Licht in Zeiten der Verängstigung auf beiden Seiten. Vielleicht wird es dann einmal keine zwei Seiten mehr geben, sondern eine große, inklusive und bunte Gemeinschaft.

Es sind nicht die großen, die heroischen Gesten, hollywoodtauglich inszeniert, die die Gastfreundschaft ausmachen. Es sind die kleinen, alltäglichen, fast schon unbewussten Dinge, die Gastfreundschaft zu einem Lebensstil werden lassen. Wir sind kreativ genug! Trauen wir uns!

Ich würde die Armen an meiner Tafel willkommen heißen, denn sie sind Gottes Kinder.
Ich würde die Kranken an meiner Tafel willkommen heißen, denn sie sind Gottes Freude.
Der Arme soll mit Jesus am höchsten Platz sitzen und der Kranke soll mit den Engeln tanzen.
Brigid von Kildare